Erneut wurde ein deutscher Staatsbürger in der Türkei festgenommen. Dabei handelt es sich um den Rüsselsheimer Massoud A., der aus Nordostsyrien (Kurdisch: Rojava) stammt. Der Vorfall soll sich schon am 6. Dezember 2023 ereignet haben. Der junge Mann wollte in dem Land eine Freundin besuchen, als er am neuen Flughafen in Istanbul festgenommen wurde. Auch in diesem Fall eines Deutschen soll der Grund Terrordelikte sein.
Die Behörden warfen dem deutschen Staatsbürger vor, in Wahrheit Seydi Bilen zu sein. Bilen wird in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation gesucht. Erst am 9. Januar glauben ihm die türkischen Behörden. Die Staatsanwaltschaft ordnet gegen den 29-Jährigen seine Freilassung und erlässt umgehend erneut Haftbefehl gegen ihn. Auch diesmal wirft ihm die Staatsanwaltschaft Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. War er bis dahin im Silivri-Gefängnis von Istanbul, wurde er nach der neuen Festnahme ins Maltepe-Gefängnis ebenfalls in der Metropole gebracht.
Die türkische Polizei hatte den Deutschen gezwungen, ihm die PIN seines Iphone zu geben. Dort fanden sie dann ein Foto. Darauf zu sehen ist er mit Kämpfern der Volksverteidigungseinheiten YPG gemeinsam auf einem Foto, als er noch in Nordostsyrien gelebt hat, bevor er als Flüchtling nach Deutschland kam. Das Foto entstand 2011. Damals hatte die YPG gemeinsam mit westlichen Staaten gegen die Terrormiliz IS gekämpft und auch später besiegt.
„Ich bin und war noch nie Mitglied der YPG oder Ähnliches“, teilt A. in einem Brief mit, dass unserer Redaktion vorliegt. Das Foto „ist nur zur Erinnerung und zwar als YPG-Einheiten den IS besiegt haben, waren alle Menschen erleichtert und froh über den Sieg der YPG. Da haben alle Menschen Fotos von sich un der YPG gemacht“. Auch der Anwalt des Deutschen, Mesut Acar, beteuert im Gespräch mit IPPEN.MEDIA, dass sein Mandant unschuldig ist. „Mein Mandant hat niemals einer Terrororganisation angehört. Er war niemals einer Befehlskette unterstellt. Er hat auch nie Propaganda für eine Terrororganisation betrieben“. Die Anklage gegen den Rüsselsheimer basiere ausschließlich auf ein Foto seines Mandanten mit YPG-Einheiten. „Damals hatte die YPG in der Gegend als einzige Macht gegen die Terrormiliz IS gekämpft,“ so Acar. Das Bild soll 2011 entstanden sein. Damals war der 1995 Geboren zudem noch minderjährig.
Acar erzählt uns, wie sehr die Anklage gegen seinen deutschen Mandanten absurd ist. „Zu dieser Zeit sei die YPG in der Türkei keine terroristische Organisation gewesen. Darüber existiere ein offizielles Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft von Hatay. YPG und die Türkei seien damals Verbündete gewesen. „Es gibt viele Beispiele für Fehler“, so Acar. Die Türkei habe in der Vergangenheit ihre Grenzen zum Nachbarland geöffnet und Hilfslieferungen an die YPG zugelassen.
Deutsches Generalkonsulat untätig
Die Familie des Deutsch-Kurden ist vor allem wegen der mangelnden Unterstützung durch das deutsche Generalkonsulat enttäuscht. „Seit der Verhaftung meines Bruders am 6. Dezember 2023 haben wir nicht einmal mit meinem Bruder telefonieren können. Wir wissen nicht, wie es ihm geht. Niemand vom deutschen Generalkonsulat hat bis heute meinen Bruder besucht“, so Delshad A. Der Mann erzählt, dass die Gesundheit seiner Mutter sehr unter der Situation leidet.
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) fordert vom Auswärtigen Amt Unterstützung für den Rüsselsheimer. „Herr A. sollte umfassende konsularische Betreuung erhalten. Aus der Erfahrung mit ähnlichen Fällen weiß ich, dass das Auswärtige Amt Beobachter zu Gerichtsverfahren entsendet. Es sollte sich aber hier nicht mit weiteren Anstrengungen zurückhalten und bereits vor einem Gerichtstermin tätig werden“, so Akbulut im Gespräch mit unserer Redaktion. A. ist nicht der einzige, der in der Türkei aus politischen Gründen in Haft ist. Dutzende weitere teilen das gleiche Schicksal. Die Linken-Abgeordnete fordert daher eine andere Politik gegenüber Ankara. „Mit einem entschlosseneren Einsatz der Bundesregierung könnten viele Deutsche die Türkei wieder verlassen“, so Akbulut. Die Bundestagsabgeordnete selbst wurde im August 2023 bei der Einreise am Flughafen von Ankara kurzfristig festgenommen.
Bis Redaktionsschluss haben wir vom Auswärtigen Amt keine Antworten zu unseren Fragen im Fall des in der Türkei inhaftierten Massoud A. bekommen. (Erkan Pehlivan)
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