Der abgesetzte Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ist wegen Beleidigung und Bedrohung eines Staatsanwalts von einem Istanbuler Gericht zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Haftstrafen dieser Länge müssen in der Türkei in der Regel nicht abgesessen werden. İmamoğlu hatten mehr als sieben Jahre Haft und ein Politikverbot gedroht. İmamoğlu befindet sich zurzeit wegen anderer Vorwürfe in Untersuchungshaft. Im Verfahren ging es um Äußerungen İmamoğlus, nachdem das Haus eines Vorsitzenden der Jugendorganisation von İmamoğlus Partei CHP gestürmt wurde. So hatte İmamoğlu über den Istanbuler Oberstaatsanwalt Akin Gürlek gesagt, sein Verstand sei »verrottet«.
İmamoğlu will 2028 Nachfolger von Erdoğan werden
Die Opposition im Land sieht sich seit İmamoğlus Festnahme am 19. März einer Welle von Ermittlungen und Verfahren ausgesetzt. Dutzende Bürgermeister der größten Oppositionspartei CHP wurden abgesetzt und verhaftet. Oppositionelle sehen dahinter den Versuch der Regierung, sich bei der Lokalwahl 2024 verlorene Posten zurückzuholen. Die AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erlitt damals eine historische Niederlage und verlor selbst einige Hochburgen der Regierung an die Opposition. Die Regierung weist jegliche Einflussnahme auf die Justiz zurück.
İmamoğlu gilt als vielversprechender Herausforderer Erdoğans bei einer künftigen Präsidentschaftswahl. Die reguläre nächste Wahl ist für 2028 vorgesehen. Von seiner Partei CHP wurde İmamoğlu bereits als Kandidat aufgestellt. Erdoğan darf laut Verfassung nicht noch einmal kandidieren. Derzeit lässt er eine Verfassungsänderung durch Juristen prüfen. Dafür bräuchte er eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Es ist nicht das erste Urteil gegen İmamoğlu. Bereits im Dezember 2022 war er zu einem Politikverbot sowie einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Bis heute ist die Entscheidung aber nicht rechtskräftig. Gegen ihn läuft auch eine Reihe weiterer Verfahren.
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